Mittwoch, April 09, 2025

Im Interview mit dem Bau & Immobilien Report erklärt Julian Weyer, C.F. Møller Architects und Key Note Speaker bei den Future Brick Days, was die dänische funktionale Tradition ist und warum sich skandinavische Architektur nicht ohne Verluste kopieren und exportieren lässt.

C.F. Møller Architects ist eines der führenden Architekturbüros Skandinaviens mit zusätzlichen Niederlassungen in Berlin und London. Was macht aus Ihrer Sicht skandinavisches Design und skandinavische Architektur aus?

Julian Weyer: Das ist eine schwierige Frage, weil die Antwort schnell ins Klischeehafte abrutschen kann. Etwa viel Backstein und helles Holz, das wäre aber eine rein stilistische Antwort. Das ist aber nicht das Entscheidende. Interessant ist aus meiner Sicht, dass Architekten fast überall über von denselben Werten wie »Tageslicht« oder »Offenheit« sprechen. Es gibt aber große Unterschiede in der Umsetzung.

Das Besondere an Skandinavien ist, dass diese Werte sehr nah an den gesellschaftlichen Werten liegen. Das ist stark geprägt von der Aufbauzeit im Modernismus, wo auch das Gesellschaftsmodell seine Wurzeln hat. Aus diesem Modernismus und Humanismus sind Werte entstanden, die heute noch tragend sind. Die haben sich so stark durchgesetzt, dass es fast eine Art Gleichschaltung gibt.  

Wie zeigen sich diese Werte?

Weyer: Da ist zum einen der fast schon als Besessenheit zu bezeichnende Fokus auf Tageslicht. Je weiter nördlich, desto stärker ist diese Besessenheit. Von Dänemark bis Schweden werden die Fenster und Balkone immer größer. Diese Transparenz spielt in der Architektur generell ein enorm große Rolle. Die Architektur ist offen und einladend, wenig monumental, mit einem hohen Grad an Zugänglichkeit. Gebäude sind für alle da und gehen etwa bei Schulen oft weit über ihre Kernnutzung hinaus. Sie dienen eher als lokale Zentren. Es sind kleine Unterschiede, die in Summe aber ein komplett anderes Bild schaffen. Jeder, der nach Skandinavien kommt, wird das spüren. 

Skandinavien gilt ja bei vielen gesellschaftspolitischen Entwicklungen als Vorbild. Lässt sich dieser Zugang auf Mitteleuropa umlegen? Können Österreich oder Deutschland von der skandinavischen Architektur lernen?

Weyer: Da ist seit den 50-Jahren schon viel passiert, es hat viele Aneignungen gegeben. Was aber außerhalb von Skandinavien fehlt, ist die Verknüpfung zum Gesellschaftsmodell. Es fehlen die Ziele und Ideale dahinter. Deshalb handelt es sich dann oft nur um ein Bild, eine Reproduktion des Originals. 

Können Sie ein Beispiel nennen?

Weyer: Englische Architekten waren lange Zeit sehr beeindruckt von ihren skandinavischen Kollegen und haben versucht, Ähnliches in London oder anderswo umzusetzen. Allerdings war man nie bereit, das offene Gesellschaftsmodell zu importieren. Überspitzt formuliert, sind die Zäune und Stacheldrähte der englischen Klassengesellschaft geblieben. Am Ende ging es immer noch darum, sich abzuschotten. Das funktioniert dann natürlich schlecht.

Skandinavien gibt es also nur ganz oder gar nicht?

Weyer: So kategorisch will ich gar nicht sein. Man kann schon auch viel mitnehmen aus Skandinavien, z. B. zum Thema Nachhaltigkeit. Da wird in Dänemark viel experimentiert, etwa mit strengen Regeln zu CO2-Bilanzen bei Material und Nutzung. Dänemark hat sich immer schon früh Ziele gesetzt, die die Bauwirtschaft auch herausgefordert haben. Bautechnik war lange Zeit auch ein Exportschlager Dänemarks. 

Sie sprechen in Ihren Vorträgen auch immer wieder von »funktionaler Tradition«. Was genau ist darunter zu verstehen?

Weyer: Der Begriff ist im Zusammenhang mit dem Uni Campus Aarhus entstanden, der prägend für unser Büro, aber auch den skandinavischen Modernismus ist. Die Architektur orientiert sich stark an der Tradition des simplen, alltäglichen Bauens. Es wird aber nicht alles leergefegt wie bei Adolf Loos, sondern es wird hervorgehoben, was in der Tradition die funktionalistische Idee unterstützt. Es ist keine Revolution, sondern eine Evolution. 

Was macht den Uni Campus Aarhus aus? Handelt es sich um ein klassisches Low-tech-Gebäude?

Weyer: Die Idee stammt aus den 20er- und 30er-Jahren, da hat sich diese Frage noch gar nicht gestellt (lacht). Sie ist vielmehr aus Not und Notwendigkeit entstanden, was in Skandinavien oft der Fall ist, weil es nie diesen opulenten Reichtum gab. Auch bei der Gründung der Universität Aarhus stand nur sehr wenig Geld zur Verfügung, weil es keine Unterstützung vom Staat gab. Ursprünglich wollte man sich an der Bauhaus-Architektur orientieren, aber dann gab es eine Schenkung von einer Million Backsteinen eines Ziegelherstellers. Da musste man sich natürlich umorientieren. Das Ergebnis war eine Kombination des traditionellen Bauens mit modernen Ideen. Daraus wurde eine Architektursprache, die so einfach und überzeugend war, dass sie bis heute überlebt hat.

Der Uni Campus Aarhus ist ein Paradebeispiel für die funktionale Tradition: Die Architektur orientiert sich stark an der Tradition des simplen, alltäglichen Bauens.

Wie gut passt Ziegel zu dieser funktionalen Tradition?

Weyer: Das passt sehr gut zusammen. Der Ziegel verkörpert quasi diese funktionale Tradition. Er ist extrem vielseitig, mit ihm wird alltäglich gearbeitet, mit ihm können aber auch einzigartige Bauwerke geschaffen werden. 

Ist Ziegel auch ein moderner Baustoff?

Weyer: Ich denke schon. Was den Ziegel heute sicher herausfordert, ist die Energiebilanz. Aber daran wird mit unterschiedlichen Konzepten gearbeitet, um den Energie­inhalt des Ziegels anders zu gestalten. Aber die Funktionalität des Ziegels ist so aktuell wie immer. Er ist einfach zu verbauen, langlebig und kann wiederverwertet werden. Das ist alles hochaktuell. 

Welchen Einfluss wird die skandinavische Architektur in Zukunft auf Europa und die Welt haben?

Weyer: Heute ist es so, dass die Einflüsse kreuz und quer gehen. Inspiration läuft heute in beide Richtungen. Aktuell kommt Skandinavien der Nachhaltigkeitstrend zugute. Da ist aber auch Österreich sehr gut aufgestellt. Die Liebe zum Simplen, dass aus etwas Alltäglichem etwas Schönes und Großes entstehen kann. Da liefert Skandinavien schon Inspiration. Wenn wir alle mehr auf das Notwendige fokussieren, sind wir auf einem guten Weg. 


Zur Person

Julian Weyer wurde 1969 in Berlin geboren und lebt seit 1975 in Dänemark. Er studierte an der Aarhus School of Architecture und schloss sein Studium 1994 als Architect MAA ab. Neben seiner Lehrtätigkeit an der Aarhus School of Architecture arbeitete er als freier Architekt und bei C.F. Møller Architects, bevor er dort 2007 Partner wurde.

Veranstaltungstipp: Julian Weyer wird bei den Future Brick Days (am 23. April in Wien) in seiner Keynote am Beispiel des Uni Campus Aarhus über »Die Dänische Funktionale Tradition« sprechen.

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