Donnerstag, Mai 01, 2025
Hightech-Hülle

Multifunktionalität ist der Anspruch an die Fassade von morgen. Sie darf nicht nur dämmen, sie soll auch Energie produzieren und sich einfach recyceln lassen.

Im Bereich Fassade wird viel mit neuen Konzepten experimentiert, und das hat gute Gründe. Karl Höfler, Leiter des Bereiches Nachhaltige Gebäude bei AEE INTEC: »Wenn man nachhaltige Fassaden in die Sanierung integriert, ist das oft sehr kostenintensiv. Bauherren zu überzeugen, ist schwierig.« Gefragt ist die multifunktionale Fassade, die dämmt, selbst Energie erzeugt, selbstständig lüftet und dabei optisch besticht.

Gute Wärmedämmung

Hartwig Künzel, Abteilungsleiter Hygrothermik am Fraunhofer-Institut für Bauphysik, warnt vor Bagatellisierung der Dämmung: »Zu sagen, in Zeiten der erneuerbaren Energien ist Dämmung nicht mehr wichtig, halte ich für eine gefährliche Einstellung.« Im Winter sind Sonnen- und Windkraft stark eingeschränkt. Über diese Energiemankos käme man nur mit reduziertem Energiebedarf. Und dafür braucht es gute Dämmung.

Bild oben: Am Dach des Prüflabors von AEE INTEC in Gleisdorf charakterisiert und bewertet eine Prüfbox multifunktionale Fassadenelemente. Die TU-Wien-Professorin Korjenic betreibt mit ihrer Forschungsgruppe einen ÖkoPrüfstand, der den Nachweis erbringen soll, dass Gebäude und damit auch die Fassade langfristig ohne Beton und Kunststoffe errichtet werden können (unten).

Die Dämmindustrie hat viel Positives geleistet. Wenn man von den früheren Standarddämmstoffen EPS und MW mit WLF 0,04 W/mK 20 cm benötigte, sind heute für den gleichen Dämmeffekt nur noch geringere Schichtdicken erforderlich, z.B. von MW mit optimierter Anordnung der Fasern  (WLF 0,030 - 0,032) 15-16 cm, von nanoporösen Dämmstoffe wie Aerogele oder Phenolharzschäumen ca. 10 cm und von VIP, Vacuum Insulated Panels, rund 4 cm. Künzel verweist dazu auf die Metastudie zur Fassadendämmung vom Forschungsinstitut für Wärmeschutz in München.

Gute Energiequelle

»Wenn Österreich effektiv zum Klimaschutz beitragen möchte, müssen Fassaden auch energietechnisch genutzt werden«, fordert Karl Höfler. Mit der zunehmenden Urbanisierung wachsen Gebäude weiter in die Höhe, Dachflächen schwinden anteilig, Fassadenflächen steigen. »PV-Elemente werden immer effizienter, eine elegantere und flexiblere Integration in die Architektur wäre noch wünschenswert«, meint Architektin Beate Lubitz-Prohaska, Geschäftsführerin von pulswerk, dem Beratungsunternehmen des Österreichischen Ökologie-Instituts. Der Dach- und Fassadenspezialist Eternit entwickelt derzeit ein System der optischen und technischen Integration von Photovoltaik in die Fassade, das vor allem bei der optischen Integration neue Wege geht. Das System ist nächstes Jahr marktreif.

Bereits 2012 hat das Wiener Architekturbüro soma einen besonderen Weg eingeschlagen. »Beim Themenpavillon für die EXPO 2012 haben wir gemeinsam mit Knippers-Helbig-Ingenieuren an einem biomimetischen Prinzip einer beweglichen Lamellenfassade gearbeitet, einem deutlichen Vorteil für PV«, so Geschäftsführer Stefan Rutzinger. In Deutschland arbeitet Jan Knippers an beweglichen Architekturteilen.

Bild oben: Im Projekt ArKol entwickeln Forscher des Fraunhofer Instituts für Bauphysik Fassadenkollektoren für solare Wärmeerzeugung mit einem hohen Maß an Design­flexibilität. (im Bild rechts: Fassade mit solarthermischer Jalousie)

Karl Höfler nennt ein bestehendes Problem bei der PV-Integration: »Für PV muss nach Möglichkeit die Südfassade genutzt werden, auf der sich aber auch viele Fenster befinden. Das gibt wenig nutzbare Fläche.« Höfler verweist zudem auf die Ö-NORMEN, die den Einsatz von PV-Modulen aus Brandschutzgründen über viergeschoßige Fassaden erschweren.

Apropos Fenster: Am Fraunhofer-Institut für Organische Elektronik, Elektronenstrahl- und Plasmatechnik FEP läuft das Projekt FLEX-G, das neue Technologien zur Herstellung von transluzenten und transparenten Dach- und Fassadenelementen mit integrierten optoelektronischen Bauelementen zum Inhalt hat.

Glas werde dem gewünschten Formenreichtum oft nicht gerecht und ist für große überspannte Flächen zu schwer. Daher haben sich fluorpolymere Werkstoffe als Alternative bewährt. Das Fraunhofer Institut für Silicatforschung ISC hat für die FLEX-G Folien einen Ultrabarriereschutz entwickelt und arbeitet an innovativen Beschichtungen für Glas, beispielsweise elektrochromen Beschichtungen für schaltbare Verschattungen, Antireflex- und Antistaubschichten, wie sie auch für den Fassadenbereich eingesetzt werden können. Am OFI in Österreich läuft das Projekt PV@Fassade, das PV-Aktivmaterialien entwickelt, deren Verklebung mit speziellen Fassadenelementen einen langzeitbeständigen Multimaterialverbund erreicht.

Prof. Azra Korjenic hat an der TU Wien ein multifunktionales Fassadensystem aus Fassadenbegrünung und PV entwickelt. Nächstes Jahr soll es an einem Wohnhaus angewendet werden. »Mit den Pflanzen schützen wir vor hydrothermischen Schwankungen, Heizwärmebedarf bzw. Kühlbedarf werden minimiert und wir senken Wärmeverluste.« Im Projekt TABSOLAR II werden thermoaktive Bauteile aus Ultrahochleistungsbeton entwickelt, die als gebäudeintegrierte Solarkollektoren oder thermoaktive Bauteilsys­teme im Neubau und Bestand eingesetzt werden können. Energie an der Fassade ist auch durch eine integrierte Wärmepumpe möglich. Dazu Karl Höfler: »Ein mögliches Konzept ›PV + zentrale WP‹ sieht die Wärmeversorgung durch eine zentrale Außenluft-Wärmepumpe mit fassadenintegrierten Versorgungsleitungen und PV-Modulen vor, die einen Pufferspeicher für die Raumheizung belädt und dezentrale Warmwasserspeicher in den Wohnungen mit Wärme beliefert.«

Bild oben: Die moderne Energietechnik und die hinterlüftete Holzfassade der Wohnhausanlage »St. Gallenkirch« wurden mit dem klimaaktiv-Gold Gütesiegel prämiert.

SaLüH! ist ein weiteres Forschungsprojekt am AEE INTEC. Hier werden Lüftungs- und Heizungskonzepte für die Sanierung untersucht und platzsparende Heizungs- und Trinkwarmwasser-Kleinstwärmepumpen entwickelt, die in die bestehende Brüstung bzw. in eine vorgehängte Holzleichtbau-Fassade integriert werden können. Glassx aus Zürich ist einen Schritt weiter und hat Fassaden entwickelt, die als latenter Wärmespeicher funktionieren und je nach Witterung Wärme aufnehmen oder abgeben.

Gutes Ende

»Die heutige Fassade besteht aus vielen miteinander verklebten Schichten, die nach dem Lebenszyklus nicht getrennt werden können«, bedauert Lubitz-Prohaska und verweist auf das »Cradle to Cradle«-Prinzip. Die Klettfassade StoSystain R von STO ersetzt den Kleber durch eine innovative Klettverbindung und erlaubt dadurch eine einfache Montage und Demontage einzelner Elemente. Für 2018 ist die Marktreife geplant. StoSystain R kann am Sto-Firmengelände in Villach besichtigt werden. Zu Wiederverwendbarkeit und Re-Use ist das CreaSolv-Verfahren vom Fraunhofer-Institut für Verfahrenstechnik und Verpackung IVV anzuführen, das die Wiederaufbereitung von Alt-Styropor erlaubt. Eine Demonstrationsanlage wird ab Mitte 2018 in den Niederlanden für echtes Recycling im Sinne von Cradle-to-Cradle sorgen. »Mit der Fraunhofer-Technik ist ein großer Durchbruch für die gesamte Branche gelungen«, so Clemens Demacsek, Geschäftsführer der GPH. CreaSolv-Recycling-Anlagen sind in ganz Europa geplant.

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