Montag, April 21, 2025

Thomas Hohenauer, Geschäftsführer des IT-Dienstleisters Tieto, über holistische Berechnungsmodelle in der Industrie und den Weg in Richtung autonomer Prozessabläufe in Anlagen.

Report: Herrscht in der Papierindustrie nach wie vor Konsolidierungsbedarf? Welche technologischen Entwicklungen sind dort zu erwarten?

Thomas Hohenauer: Der Konsolidierungsbedarf ist da, ebenso der Trend zu einer künftig intelligent vernetzten Produktion. Dabei steht die holistische Sicht auf die Fabrik im Mittelpunkt. Bislang lag der Fokus auf der ERP-Welt in den Unternehmen, auf den Bereichen Auftragsverwaltung und Logistik. Parallel dazu sind die Produktionsprozesse in der Fabrik über »Manufacturing Execution Systems« verwaltet worden. In der darunterliegenden Automatisierungs­ ebene herrscht in der Papierindustrie verglichen mit anderen Industrien Nachholbedarf. Wir erweitern unsere Services nun auch in dieser Ebene und decken gesamtheitlich alle Prozesse im Unternehmen ab. Durch die Verbindung aller Welten lassen sich für die Papierindustrie neue Synergien finden und die Gesamtperformance optimieren. In der Papierindustrie ist es üblich, in einer Grobplanung lokale ATP- bzw CTP-Checks (Anm. »Available-to-promise - ATP«, »Capable-to-Promise – CTP«) zur Prüfung von Verfügbarkeiten durchzuführen. Kommt nun ein Auftrag herein, wird zuerst einmal festgestellt, mit welchem Zeitpunkt eine Erledigung möglich ist. In modernen Systeme wird dann auch geprüft, ob die Produktionsprozesse entlang den vorhandenen Aufträgen generell optimiert werden können. Wir wollen nun einen weiteren Schritt setzen und im Prozessmanagement auch Faktoren wie etwa Energiekosten einbeziehen. So könnte genau dann produziert werden, wenn der Strom vielleicht in der Nacht billiger ist. Und untertags wird dann unter Umständen sogar Strom abgegeben. Auch wird bei der Prozessoptimierung die Papierproduktion in einzelne Linien zerlegt und simuliert. Mit den Simulationen sind dann Voraussagen zu unterschiedlichen Szenarien möglich. Der Betreiber sieht die Auswirkungen, die einzelne Entscheidungen bewirken - ob ein Tank übergehen könnte oder ob sich chemische Zusammensetzungen über einen Zeitraum ändern. Diese Informationen sind wiederum Grundlage für automatische Entscheidungsvorschläge. Mit Metso haben wir jüngst ein Projekt aufgesetzt, in dem wir in Bereiche gehen, die noch niemand zuvor bestritten hat: rechnerische Modellierung, Simulation und Prozessoptimierung über verschiedene In- und Output-Parameter. Die Branche ist hier noch am Forschen, aber es geht klar in diese Richtung. In der Betrachtung aller Systeme - beim Warenwirtschaftssystem angefangen bis hinunter zu Messdaten in der Produktion - geht es darum, Vorhersagen zu treffen und automatisierte Entscheidungsvorlagen zu erhalten.

Report: Sie beschreiben eine neue Industriewelt. Eine derartige Vernetzung von Maschinen und Daten ist doch mit einem enormen Aufwand verbunden. Eignen sich diese Projekte folglich eher für neue Anlagen?

Hohenauer: Keineswegs. Ich glaube, dass in den meisten bestehenden Anlagen die Daten sehr wohl bereits vorhanden sind. Sie sind nur noch nicht zusammengeführt. Mit Modellierungen können überall Engpässe und Qualitäten dargestellt werden und gerade in Bestandsanlagen rechnen sich Optimierungen schnell. Es geht auch gar nicht darum, vorhandene Installationen anderer Hersteller abzulösen – im Gegenteil. Und unsere Lösungen arbeiten auch mit Systemen wie etwa von Andritz oder Honeywell. Erstmals ist nun auf Knopfdruck darstellbar, wie sich gesamte Prozesse verändern, wenn ein einziger Parameter verändert wird. Mithilfe von Data Mining lassen sich anhand von Erfahrungswerten auch künftige Probleme prognostizieren. Damit ist eine völlig neue Dynamik möglich, denn unterschiedlichste Problemstellungen können bereits im Vorfeld getestet werden - ohne in real laufende Prozesse einzugreifen. In der Chemieindustrie und in Raffinerien sind diese Vorhersagemodelle bereits weit verbreitet. In der Papierindustrie herrscht dazu noch großes Potenzial. Dort waren solche Rechenmodelle aufgrund der Nonlinearität der Prozesse technisch kaum bewältigbar. Durch die größere Rechenleistung, die heute zur Verfügung steht, ist dies nun möglich geworden. Auch verändert sich damit die Arbeit der Betriebsmannschaften, welche die Anlagen steuern und bedienen. Ihr Fokus ist nun das Incident Handling. Der Operator greift nur noch bei außergewöhlich stattfindenden Ereignissen ein, und bekommt im Idealfall dazu auch Vorschläge. In einzelnen Prozessbereichen wird es wahrscheinlich in einigen Jahren zu geschlossenen Abläufen kommen, in denen die Simulation und die Optimierungslösung autonom entscheiden.

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