Montag, April 07, 2025
In Deutschland sorgt eine geplante Internet-Sperrliste gegen Kinderpornografie für Aufregung. Kritiker sehen im geplanten Gesetz den ersten Schritt zur totalen Internetzensur – und werfen der Politik Populismus und Ahnungslosigkeit vor. Die Wunderbare Welt des Web.

Es ist Wahljahr in Deutschland, und die Familienministerin Ursula von der Leyen (CDU) hat ihren Coup gelandet: Das von ihr vorgeschlagene Gesetz zur Sperrung von Internetseiten mit kinderpornografischen Inhalten soll im Oktober beschlossen werden. Bereits im April hatten sich mehrere große deutsche ISPs auf von der Leyens Vorschlag hin dazu bereit erklärt, eine vom deutschen Bundeskriminalamt zusammengestellte Liste von einschlägigen DNS-Adressen für ihre Kunden zu sperren – statt der jeweiligen Webseite soll ein virtuelles Stoppschild im Browser erscheinen und den potenziellen Pädophilen auf die Strafbarkeit hinweisen. Dieses Vorgehen, so von der Leyen, solle das angebliche „Milliardengeschäft“ mit Kinderpornografie in Deutschland empfindlich erschweren.

Der Missbrauch von Kindern ist ein besonders schändliches Verbrechen, das die hilflosen Opfer für ihr Leben lang traumatisiert. Aus gutem Grund ist auch der Besitz von kinderpornografischen Bildern strafbar. Das entschlossene Vorgehen gegen derartige Straftäter im Netz müsste ja wohl jedem Bürger ein selbstverständliches Anliegen sein – und sollte im Wahljahr 2009 ein günstiges Konsensthema mit Law&Order-Dramatik bieten. Umso größer war das politische Unverständnis, als innerhalb nur einer Woche über 70.000 Bürger eine Online-Petition unterzeichneten, die sich gegen das geplante Gesetz richtet. Mit der Einrichtung einer derartigen Infrastruktur, so die Initiatoren, würde ein Präzedenzfall für Zensur weiterer unliebsamer Inhalte im Netz geschaffen, zumal die geheime Liste der zu sperrenden Seiten hinter verschlossenen Türen ohne Überprüfung durch unabhängige Gremien erfolgen solle. Außerdem würde der tatsächliche Zugang zu den Seiten durch die geplante DNS-Filterung nicht verhindert, sondern nur erschwert: Nur die strafrechtliche Verfolgung der Serverbetreiber selbst und damit das vollständige Entfernen der Inhalte aus dem Netz würde wirken, nicht das halbherzige Verstecken: Über 90 Prozent der einschlägigen Server befinden sich in westlichen Ländern, in denen eine strafrechtliche Verfolgung möglich wäre.

In den Reaktionen auf die wachsende Kritik zeigte sich die problematische Ahnungslosigkeit der Entscheidungsträger: Die technische Überwindung der Zugangsbeschränkung sei nur für technikversierte Internetnutzer möglich, also etwa für 20 Prozent – und diese seien, quasi im Umkehrschluss, schon allein wegen ihrer Technikkenntnisse verdächtig, „zum Teil schwer pädokriminell“ zu sein, attackierte die von ihren Gegnern „Zensursula“ genannte von der Leyen die Kritiker. Auch Wirtschaftsminister Karl-Theodor von und zu Guttenberg (CSU) unterstellte den Gegnern des Gesetzesvorhabens kurzerhand pauschal die Unterstützung von Kinderpornografie – ein starkes Stück, da sich sogar ehemalige Missbrauchsopfer öffentlich dem Protest gegen die als blanker Populismus angeprangerte Gesetzesvorlage angeschlossen und alle Kritiker stets die Verfolgung derartiger Straftaten niemals in Frage gestellt hatten.

Es spricht für die deutsche Diskussionskultur, dass auch Qualitätsmedien inzwischen offen die Fragwürdigkeit des populistischen Zensurprojektes mit kinderfreundlichem Deckmäntelchen diskutieren. Diese Diskussion offenbart aber auch die tiefe digitale Kluft, die zwischen einer Politikerkaste auf Stimmenfang und der digitalen Realität vor allem der jüngeren Generationen liegt. Ein Hinweis für Populisten: Letztere reagieren womöglich anders auf die reflexhaften Regulierungsforderungen als die technikferneren älteren Wählerschichten – und stellen früher oder später ebenso ein nicht unbeträchtliches Wählerpotenzial dar.

Notiz zum Schluss: Während beim großen Bruder Deutschland zunehmend Kritik am geplanten Gesetz laut wird, hat der oberösterreichische Landtag unlängst mit den Unterschriften von SPÖ, ÖVP und Grünen die Bundesregierung zum Beschluss eines ähnlichen Gesetzes in Österreich aufgefordert. Erraten: Auch in Oberösterreich wird 2009 gewählt.

Meistgelesene BLOGS

Andreas Pfeiler
19. Dezember 2024
Unlängst mit der Frage »Was sind die Gründe für die sinkende Produktivität in der Baustoffindustrie?« konfrontiert, begab sich der Autor dieser Zeilen auf die Suche nach Antworten. Und wurde rasch fün...
AWS (Amazon Web Services)
11. Dezember 2024
Amazon hat sein europäisches Reverse-Logistics-Programm durch re:Cycle Reverse Logistics erweitert. re:Cycle Reverse Logistics betreibt Einrichtungen in Dublin, die Geräte aus AWS-Rechenzentren testen...
Firmen | News
16. Dezember 2024
Kryptowährungen und Investieren erscheinen oft exklusiv und komplex, doch innovative Technologien machen sie zunehmend einfacher und für alle zugänglich. Mit einer niedrigen Einstiegsschwelle von 50 €...
AWS (Amazon Web Services)
18. Dezember 2024
Amazon Web Services (AWS) stellt 100 Millionen Dollar für benachteiligte Schüler:innen zur Verfügung, um ihnen Kenntnisse in den Bereichen KI, Cloud Computing und Alphabetisierung zu vermitteln. In de...
Josef Muchitsch
23. Dezember 2024
Die Entscheidung, die KIM-Verordnung auslaufen zu lassen, ist ein wichtiger Erfolg für die Bauwirtschaft und alle Beschäftigten. Ursprünglich eingeführt, um den Immobilienmarkt zu regulieren, hat die ...
Alfons A. Flatscher
19. Dezember 2024
Europa steht vor drängenden Herausforderungen: Banken sind zunehmend restriktiv, alternative Formen der Finanzierung sind unterentwickelt. Die Folge? Vielversprechende Projekte und innovative Ideen sc...
AWS (Amazon Web Services)
07. Jänner 2025
Jedes Jahr fordert Krebs weltweit etwa 10 Millionen Menschenleben, und die WHO geht davon aus, dass die weltweiten Krebserkrankungen bis 2040 um 60 Prozent steigen werden. Während die Welt immer noch ...
Bernd Affenzeller
18. Dezember 2024
 Das Auslaufen der KIM-Verordnung hat in der Bau- und Immobilienbranche zu einem deutlich wahrnehmbaren Aufatmen geführt. Und tatsächlich mehren sich die Anzeichen, dass 2025 besser laufen wird a...

Log in or Sign up