Dienstag, April 22, 2025

Im Zuge der Novelle zur Wiener Bauordnung wurde viel über Vereinfachung und Einsparungen gesprochen. Die Stellplatzverpflichtung wurde neu geregelt, die Notkamine wurden gestrichen. Nicht zur Disposition gestellt wurde die Barrierefreiheit. Dabei gibt es auch hier Stimmen, die in der lückenlosen Barrierefreiheit einen übertriebenen Luxus und Kostentreiber sehen. Für andere sind barrierefreie Wohnungen gelebte gesellschaftliche Verantwortung. Der Bau- & Immobilien Report hat Michael Ludwig, Wohnbaustadtrat Wien, und Reinhold Lindner, Sprecher BAU!MASSIV!, zum verbalen Schlagabtausch gebeten.


THEMA: Barrierefreiheit - Gesellschaftliche Verantwortung oder unnötiger Preistreiber

PRO: Barrierefreiheit bedeutet Komfort für alle
Michael Ludwig

»Gerade Kleinigkeiten entscheiden häufig darüber, ob wir etwas als komfortabel oder unbequem wahrnehmen. Häufig stolpern wir buchstäblich über Barrieren, die von uns selbst eingeplant wurden. Barrierefreies Planen und Bauen bedeutet die uneingeschränkte Nutzung durch alle Menschen. Im Sinne eines nachhaltigen und durchdachten ›Designs for all‹ profitieren auch tatsächlich alle – vom Kleinkind über Eltern mit Kinderwägen, Menschen mit ihren Einkäufen oder dem Gipsbein nach dem Sportunfall bis hin zu Menschen im fortgeschrittenen Alter. 

Mit Barrierefreiheit wollen wir allen ein selbstbestimmtes Leben ohne fremde Hilfe ermöglichen. Und wir wollen Wohnraum schaffen, der bei veränderten Lebensbedingungen – etwa bei körperlichen Einschränkungen in jedem Alter – den geänderten Bedürfnissen der Menschen anpassbar ist. Die Stadt Wien nimmt österreichweit in puncto Barrierefreiheit eine Vorreiterrolle ein.  Bereits 1991 erfolgte die gesetzliche Verpflichtung zur barrierefreien Erschließung von Neubauvorhaben. 

Mit der Techniknovelle 2007 wurde ab Juli 2008 die Bauordnung für Wien grundlegend geändert. Nunmehr ist auch der anpassbare Wohnbau baurechtlich vorgegeben, das heißt,  dass zukünftige notwendige Änderungen – etwa altersgerechte Anpassungen – kostengünstig und in möglichst kurzer Zeit umsetzbar sein müssen. Vorausschauend zu bauen bedeutet, barrierefrei zu bauen. Daran werden wir in Wien festhalten und dazu bekenne ich mich ausdrücklich.«


CONTRA: Barrierefreiheit mit Hausverstand
Reinhold Lindner

»Grundsätzlich hat der Wohnbau natürlich auch die Bedürfnisse der älteren und behinderten Bürger zu berücksichtigen. Das ist eine unbestrittene Verpflichtung, um den benachteiligten Gruppen eine verbesserte Lebensqualität zu bieten. In diesem Zusammenhang stellt sich jedoch auch die Frage, ob im Wohnungsneubau wirklich jede Wohneinheit diesem hohen Anspruch gerecht werden muss. Denn barrierefreie Wohnungstypen haben in der Regel einen höheren Flächenverbrauch und führen allein schon aus diesem Grund zu höheren Errichtungskosten.

Ein verfolgungswürdiger Gedanke wäre in diesem Zusammenhang beispielsweise ein ›angepasster Wohnungstyp‹, der zunächst mit minimalen Voraussetzungen hinsichtlich der Barrierefreiheit ausgestattet ist und erst bei Bedarf komplettiert wird. Eine derartige Umnutzungsfähigkeit spart Kosten, aber schafft die notwendige Flexibilität für mögliche Worst-Case-Szenarien.

Auch die Herstellung einer komplett behindertengerechten Wohnung im EG, die zudem nur befristet vermietet wird und im Bedarfsfall kurzfristig verfügbar ist, wäre aus meiner Sicht eine Möglichkeit, Kosten abzufedern und trotzdem dem sozialen Anspruch unserer Gesellschaft gerecht zu werden.

Barrierefreiheit ist daher aus meiner Sicht zwar eine wesentliche Grundanforderung im Wohnbau, die aber mit Hausverstand in der Planung nicht zwangsweise dazu führen muss, alle Wohneinheiten behindertengerecht auszu­führen.«



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