Sonntag, April 20, 2025
Vergaberecht

Die neue ÖNORM B 2061 und deren Auswirkung auf die vergaberechtliche Praxis.

Gastkommentar von Martin Schiefer und Philip Albrecht, Schiefer Rechtsanwälte GmbH.

Die ÖNORM B 2061 ist das zentrale Regelwerk für Preisbildung und Angebotsprüfungen von Bauleistungen nach dem BVergG und setzt den Standard für die Darstellung der Kalkulation. Damit stellt diese Norm auch die Basis für Mehrkostenforderungen dar. Mit 1.5.2020 trat die neue Fassung der ÖNORM B 2061, mit welcher die Fassung aus dem Jahr 1999 ersetzt wurde, in Kraft.

Die Neuerungen im Vergleich zur Vorversion (insbesondere die neue Gliederung und die Anpassung an die Usancen der modernen Betriebswirtschaftslehre, die Einführung von Kostenartengemeinkosten und von Fertigungsgemeinkosten in den K-Blättern) wurden in der baurechtlichen Praxis als Aktualisierung und Präzisierung begrüßt. Doch ist dies auch für die vergaberechtliche Praxis so? Die Neugestaltung führt in Vergabeverfahren zu beachtlichen Konsequenzen, aber auch Gestaltungsmöglichkeiten – dies sowohl für laufende, zukünftige aber auch bereits abgeschlossene Beschaffungen.

Schon bei der Ausschreibung relevant

Da es sich bei ÖNORMEN nach § 105 Abs. 3 BVergG explizit um für die Beschreibung oder Aufgliederungen bestimmter Leistungen geeignete Leitlinien handelt, ist auf diese Bedacht zu nehmen. Demnach ist die (neue) ÖNORM B 2061 zukünftigen Vergabeverfahren zugrunde zu legen oder – sofern von dieser abgewichen werden soll – vom öffentlichen Auftraggeber entsprechend zu dokumentieren, aus welchen maßgeblichen Gründen von dieser abgewichen wird.

Die ÖNORM B 2061 ist bereits bei der Gestaltung der Ausschreibungsunterlagen von Relevanz und zwar nicht nur für die Leistungsbeschreibung, sondern auch für die Gestaltung von Muss-Anforderungen, Zuschlagskriterien und Preissteuerungsmaßnahmen.

Besondere Bedeutung kommt der ÖNORM B 2061 bei der (vertieften) Preisangemessenheitsprüfung (§ 137 BVergG) zu. In Hinblick auf die aktuelle Rechtsprechung des EuGH (Tax-Fin-Lex, C-367/19, 1.9.2020), nach welcher sogar bei einem Angebotspreis von EUR 0,- (für ein Los) keine automatische Ausscheidung eines Angebots erfolgen darf, sondern dieser »ungewöhnlich niedrige« Angebotspreis vor dem Ausscheiden vertieft (auch hinsichtlich der Verhältnismäßigkeit) geprüft werden muss, kommt der vertieften Preisprüfung vergaberechtlich zukünftig eine noch gewichtigere Rolle zu.

Durch die Neugestaltung und Erweiterung in den K-Blättern ist zwar einerseits eine deutlich präzisere Angabe und Prüfung von Preisen erforderlich, was zur Vermeidung späterer Mehrkostenforderungen vorteilhaft ist, allerdings gestaltet sich hierdurch die Prüfung oftmals aufwendiger, weil individueller bzw. weiter in die Tiefe geprüft werden kann und auch muss. Zu denken ist hierbei etwa an die eingeführten Kostenartengemeinkosten (Personalgemeinkosten, Materialgemeinkosten, Gerätegemeinkosten), welche eine verursachungsgerechte Kostenzuordnung zulassen, sowie die geschaffenen Möglichkeiten zur erweiterten Darstellung der Preisermittlung durch die Berücksichtigung individueller projektbezogener Zuschläge und die neue Berechnungssystematik für den Gesamtzuschlag (K2-Blatt).

Heikle Fragen in der Abwicklung

Auch in der Abwicklung bereits abgeschlossener Vergabeverfahren hat die Neugestaltung der ÖNORM B 2061 zu Diskussionen geführt. Dies insbesondere im Zusammenhang mit der – im Vergaberecht häufig vorkommenden – Konstellation einer Rahmenvereinbarung oder eines Rahmenvertrages über mehrere Jahre.

Sofern der Vertrags- bzw. Vereinbarungstext nicht präzise aber zugleich flexibel gestaltet wurde, stellt sich in der Abwicklung derartiger Rahmvertragswerke die heikle Frage, ob auch für einzelne Abrufe auf die Kalkulationsvorgaben der neuen ÖNORM B 2061 Bezug genommen werden kann oder gar muss, obwohl diese bei Abschluss der Rahmenvereinbarung bzw. eines Rahmenvertrages noch gar nicht in Geltung war.

Dies ist auch insbesondere für den erneuten Aufruf zum Wettbewerb aus vergaberechtlicher Sicht wesentlich und zu beachten. Die Kalkulationsgrundlage ist zur Vermeidung von Mehrkostenforderungen und allfälligen nachträglichen Vertragsanpassungen von besonderer Relevanz. 

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