Samstag, April 26, 2025
Schnelltest für Mehrkostenforderungen

Unvorhersehbare Ereignisse wie die Covid-19-Krise können schnell zu Behinderungen, Verzögerungen und Leistungsstörungen bei Bauprojekten führen. Es drohen erhebliche Mehrkosten, die in vielen Fällen Startschuss für langwierige Rechtsstreitigkeiten sind. Gemeinsam mit ScherbaumSeebacher Rechtsanwälte bietet der Bau & Immobilien Report in übersichtlichen grafischen Darstellungen einen »Schnelltest« für bauwirtschaftliche Mehrkostenforderungen, der auf einen Blick zeigt, wann Mehrkostenforderungen rechtlich gedeckt sind – und wann nicht...

Der Covid- 19-Schnelltest ist in Zusammenarbeit mit ScherbaumSeebacher Rechtsanwälte entstanden.

Die Erfahrungen der letzten Monate zeigen bereits jetzt ganz klar, dass der sinnvollste und zielführendste Umgang mit durch Covid-19 bedingten Mehrkostenforderungen ein partnerschaftliches Vorgehen und die konsensuale Auseinandersetzung mit den herrschenden Realitäten im Sinne einer kooperativen Projektabwicklung ist«, erklärt Lukas Andrieu, Spezialist für Bau-, Vergabe- und öffentliches Wirtschaftsrecht bei ScherbaumSeebacher Rechtsanwälte, und verweist auf den im Mai 2020 erschienenen Leitfaden der österreichischen Bautechnikvereinigung »Der bauvertraglich-bauwirtschaftliche Umgang mit den Auswirkungen von Covid-19«.

Aufgrund unterschiedlichster Faktoren und Interessenlagen ist eine gemeinsame Festlegung der Folgen der Krise für die Baustelle und die Baukosten aber nicht möglich. Zentraler Anhaltspunkt für die Klärung, wer für entstandene Mehrkosten einzustehen hat, ist bei rein rechtlicher Betrachtungsweise der zwischen dem Bauherrn und dem Bauunternehmen geschlossene Bauvertrag. Diese enthalten zum Teil sogenannte »Force-majeure-Klauseln« bzw. Klauseln »höherer Gewalt«. Darunter versteht man Ereignisse, die nach menschlicher Einsicht und Erfahrung unvorhersehbar sind und mit wirtschaftlich erträglichen Mitteln auch durch die äußerste Sorgfalt nicht verhütet werden können.

»Auch Covid-19 stellt einen Fall derartiger höherer Gewalt dar. Dies bedeutet aber nicht, dass automatisch alle Folgen von Covid-19 auch auf diese rückführbar sind«, erklärt Andrieu. Es muss geprüft werden, ob entstandene Mehrkosten aus der Covid-19-Krise resultieren und die Parteien diese tatsächlich nicht vermeiden konnten. Ist dies der Fall, sind Rechtsfolgen aus der vereinbarten Force-majeure-Klausel abzuleiten. Findet sich keine Klausel höherer Gewalt, und haben die Parteien auch keine abweichenden Regelungen – wie z.B. die Anwendung der ÖNORM B 2110 – vereinbart, gelangen die dispositiven Bestimmungen des ABGB zur Anwendung.

Bauverträge sind Werkverträge

Sowohl das ABGB als auch die ÖNORM B-2110 enthalten unterschiedliche Regelungen darüber, wer die Gefahr entstandener Mehrkosten im Werkvertragsbereich zu tragen hat. »Im Rahmen des ABGB gilt: Fällt eine Gefahr in die Sphäre des Auftraggebers, behält der Auftragnehmer seinen Entgeltanspruch; ist sie dagegen der Sphäre des Auftragnehmers zuzurechnen, kann dieser kein Entgelt fordern«, erklärt Andrieu. Lässt sich eine Gefahr, wie aus der Covid-19-Krise resultierende Kosten, weder der Sphäre des Auftragnehmers noch der des Auftraggebers zurechnen, trägt wiederum der Auftragnehmer die Gefahr. Nach der ÖNORM B-2110 trägt dagegen der Auftraggeber die Gefahr für Störungen aus der neutralen Sphäre und der Auftragnehmer behält seinen Entgeltanspruch, wenn Covid-19-bedingte Mehrkosten entstehen. 

Ist ein Auftragnehmer durch Covid-19 bedingte Liefer- oder Personalengpässe unverschuldet in Verzug geraten, kommt dessen Vertragspartner nach § 918 ABGB ein Wahlrecht zu, ob er am Vertrag festhält oder unter der Setzung einer Nachfrist von diesem zurücktritt. Auch die ÖNORM B-2110 sieht ein derartiges Rücktrittsrecht vor, sofern eine Behinderung länger als drei Monate andauert. Dieses fordert anders als das ABGB aber keine Nachfristsetzung.
Trägt eine der Vertragsparteien ein Verschulden (etwa weil Leistungen ohne behördliche Verpflichtung verweigert werden, Informationspflichten nicht (rechtzeitig) nachgekommen wird oder sich eine Verspätung rein auf eine mangelhafte Planung rückführen lässt), haftet diese zusätzlich für den entstandenen Verspätungsschaden.

Bild oben: »Lässt sich eine Gefahr, wie aus der Covid-19-Krise resultierende Kosten, weder der Sphäre des Auftragnehmers noch der des Auftraggebers zurechnen, trägt nach AGBG der Auftragnehmer die Gefahr, nach ÖNORM B-2110 allerdings der Auftraggeber«, sagt Lukas Andrieu, Spezialist für Bau-, Vergabe- und öffentliches Wirtschaftsrecht bei ScherbaumSeebacher Rechtsanwälte. 

 

Allenfalls kann auch das Rechtsinstitut des »Wegfalls der Geschäftsgrundlage« greifen, das beide Vertragsparteien zur Vertragsaufhebung oder -anpassung berechtigt. Dazu müssten Umstände, die von den Parteien bei Vertragsschluss als selbstverständlich erachtet wurden und die nicht in die Sphäre der Parteien fallen, unvorhergesehen wegfallen, wodurch ein schweres Missverhältnis entsteht, für das die Parteien keine Vorkehrungen getroffen haben.

Offene (Rechts-)Fragen

Das alles hört sich kompliziert an und das ist es im Regelfall auch – vor allem wenn man weiter ins Detail geht. »Auch unter Juristen herrscht wie üblich weiterhin große Uneinigkeit darüber, welche Auswirkungen die Krise tatsächlich auf bestehende Bauverträge hat«, sagt Andrieu. Eine finale Klärung dieser Frage wird durch Gerichte wohl erst in Jahren erfolgen.

Zu einem Punkt besteht jedoch weitgehend Einigkeit: »Ein entscheidender Faktor ist die Vorhersehbarkeit der krisenbedingten Auswirkungen zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses. Genau deshalb ist es vor allem jetzt besonders wichtig, sich bei neuen Projekten bei Vertragsabschluss proaktiv durch entsprechende Regelungen mit krisenbedingten bauwirtschaftlichen Mehrkosten auseinanderzusetzen und diese im Detail zu regeln, etwa durch ›Corona-Klauseln‹«, sagt Andrieu- Eine Berufung auf »höhere Gewalt« oder den »Wegfall der Geschäftsgrundlage« wird bei nach Bekanntwerden der Covid-19-Krise neu geschlossenen Verträgen nämlich kaum mehr möglich sein, da die Situation weithin bekannt ist und bei Vertragsschluss mitberücksichtigt werden muss.

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