Donnerstag, März 27, 2025

Im Interview mit Report (+) PLUS spricht Wirtschaftskammer-Präsident Christoph Leitl über seinen umstrittenen Sager vom »abgesandelten Österreich«, die Herausforderungen durch Industrie 4.0 und welche Maßnahmen die Bundesregierung am dringendsten umsetzen muss, um den Wirtschaftsstandort nachhaltig zu stärken.

Wie ist das Jahr 2014 für die österreichische Wirtschaft gelaufen?

Christoph Leitl:
Das vergangene Jahr hinterlässt viele Baustellen. Die Anfang 2014 prognostizierte Erholung ist geschmolzen wie Schnee in der Sonne. Laut Wirtschaftsforschern dürfte es nur ein BIP-Plus von 0,4 Prozent gegeben haben, das ist de facto ein Stillstand der Wirtschaft. Sorgen bereitet auch die noch immer steigende Arbeitslosigkeit und dass die Investitionen nicht und nicht anspringen. Umso bemerkenswerter ist, dass die Betriebe trotz widrigster Umstände voriges Jahr wieder einen Beschäftigungsrekord geschafft haben und wir auch im Export mit 127 Milliarden Euro ein All-time-High hatten.

Sie haben im letzten Wahlkampf mit der Aussage »Österreich ist abgesandelt« für große Aufregung gesorgt, einige gaben Ihnen aber auch recht. Bereuen Sie im Nachhinein die provokante Wortwahl?

Leitl:
Es war ein Weckruf! Ich habe pointiert ausgedrückt, was jetzt täglich in der Zeitung nachzulesen ist. Mit meiner Kritik befinde ich mich in der allerbesten Gesellschaft – von anerkannten Wirtschaftslenkern, die weltweit tätig sind, bis hin zu renommierten Ökonomen.

Sehen Sie den Wirtschaftsstandort Österreich tatsächlich in Gefahr?

Leitl:
Länder wie Schweden oder die Schweiz sind auf der Überholspur und wir diskutieren neue und höhere Substanzsteuern sowie zusätzliche Belastungen für die Betriebe. Und meinen außerdem, uns eine Bürokratie leisten zu können, die für viele Betriebe inzwischen kein Begleiter, sondern ein Problem geworden ist.

Wo sehen Sie die größten Stärken, wo die größten Schwächen des Standorts?

Leitl:
Bei vielem, womit Österreich punktet, muss inzwischen das Wörtchen »noch« hinzugefügt werden: Noch punkten wir mit gut ausgebildeten Arbeitskräften. Noch sorgen unsere Betriebe jedes Jahr für neue Spitzenstände bei der Beschäftigung. Und noch glänzen sie weltweit mit Spitzenleistungen, die sich in immer neuen Exportrekorden niederschlagen.
Diese Trümpfe im globalen Wettbewerb haben allerdings ein baldiges Ablaufdatum, wenn die Steuerschraube immer weiter nach oben gedreht wird und dringende Reformen bestenfalls zaghaft in Angriff genommen werden.

Industrie 4.0 ist als Schlagwort allgegenwärtig. Aktuelle Studien zeigen aber, dass nur die wenigsten Unternehmen eine konkrete Vorstellung zu dem Begriff haben. Welche Veränderungen wird Industrie 4.0 nach sich ziehen?

Leitl:
Industrie 4.0 wird die künftigen Wertschöpfungsketten in der Produktion verändern und betrifft nicht nur technische Aspekte, sondern auch die Investitionstätigkeit, Arbeitsteilung und Wertschöpfungs­tiefe sowie Fragen der Ausbildung, der Arbeitsorganisation und Datensicherheit. Im Grunde sind die Entwicklungen nicht ganz neu, sie werden aber mit den verfügbaren technischen Möglichkeiten eine neue Qualität gewinnen.
Wichtig ist, dass Innovation und unternehmerische Initiative nicht eingeschränkt werden. Wegen der branchenspezifisch unterschiedlichen Anforderungen an Qualität, Flexibilität und Lieferzyklen wird zudem die Entwicklung von offenen, praktikablen und international anerkannten Standards nötig sein.

Industrie 4.0 gilt vielen Experten auch als Strategie der Zukunft, speziell in wirtschaftlich schwierigen Zeiten. Bereiten sich Österreichs Unternehmen Ihrer Meinung nach ausreichend auf die bevorstehenden Veränderungen vor?


Leitl:
Österreichs Unternehmen können mit Deutschland, wo das Konzept einer Industrie 4.0 den Ausgang genommen hat, und anderen Ländern gut mithalten. Die Orientierung an einer hohen Wertschöpfung, Innovationsleistung und Produktivität sowie Kostenmanagement und Optimierung entlang der Wertschöpfungskette sind für jedes Unternehmen Teil der Strategie zur Sicherung der Produktion am Standort Österreich. Bei Industrie 4.0 entscheidend sind die Investitionen – u.a. in Produktionstechnologien, Logistik, Know-how und Qualifikation. Unsere Betriebe zeigen täglich, dass sie gut in der Lage sind, die mit Veränderung verbundenen Chancen zu nutzen und in die Zukunft zu investieren. Industrie 4.0 ist da keine Ausnahme.

Was sind aus Ihrer Sicht die drei wesentlichsten Punkte, die die Bundesregierung jetzt umsetzen müsste?

Leitl:
Gefragt sind erstens gezielte Investitionsanreize wie etwa eine degressive Abschreibung oder eine reformierte Investitionszuwachsprämie. Zudem sollte die Grenze für sofort abschreibbare geringwertige Wirtschaftsgüter auf 1000 Euro erhöht werden. Zweitens brauchen wir eine Entlastungsoffensive – durch eine Steuerreform, die Betriebe und Arbeitnehmer gleichermaßen entlastet statt sie nur anders zu belas­ten, und ein umfassendes Bürokratie-Abbaupaket inklusive der Umsetzung des Prinzips »Beraten statt Strafen«. Und drittens wir müssen beim Thema Strukturreformen – Stichwort: Bildung – endlich von der Phase der Sonntagsreden in jene des Tuns kommen.

Die aktuellen Prognosen für 2015 sind alles andere als erfreulich. Was erwarten Sie vom neuen Jahr?


Leitl:
2015 werden wir nicht abstürzen, aber auch nicht weiter hinaufkommen. Das reicht mir aber nicht. Wir müssen – jetzt – das Ruder herum reißen und den skizzierten Kurswechsel einleiten. Ein Prozent Wirtschaftswachstum bedeutet drei Milliarden Euro Wertschöpfung, 25.000 Arbeitsplätze und 1,5 Milliarden mehr Steuereinnahmen. Nur mit Wachstum kommen wir gemeinsam aus der Krise.

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