Sonntag, April 20, 2025

Der Integrations- und Diversitätsmonitor soll das Potenzial von Migranten sichtbar machen und diesen bessere Aufstiegschancen eröffnen.Die Bundeshauptstadt, seit jeher Anziehungspunkt für Zuwanderer aller Ethnien und Nationalitäten, hat ein Messinstrument für die demografische Veränderung in der Wiener Bevölkerung entwickelt. Der Integrations- und Diversitätsmonitor soll das Potenzial von Migranten sichtbar machen und diesen bessere aufsteigschancen eröffnen.

Knapp ein Drittel der Wiener Bevölkerung ist nicht in Österreich geboren. Sie sind dennoch »echte« Wienerinnen und Wiener, denn schon seit Jahrhunderten siedeln sich in und um Wien Menschen unterschiedlichster Nationalitäten an. In den letzten 20 Jahren ist der Anteil der MigrantInnen, bedingt durch die historischen Umbrüche in den Nachbarländern – Fall des Eisernen Vorhangs, Zerfall Jugoslawiens, EU-Erweiterung –, kontinuierlich gewachsen. 28 Prozent der BewohnerInnen Wiens wurden im Ausland geboren. Auf 44 Prozent trifft die Beschreibung »Migrationshintergrund« zu. Sie wurden entweder selbst im Ausland geboren, sind ausländische StaatsbürgerInnen oder zumindest ein Elternteil ist zugewandert.

Wurde Zuwanderung auch in vielen anderen Städten lange als vorübergehendes Phänomen betrachtet, setzt die Politik inzwischen auf die langfristige Integration der MigrantInnen. Wesentliche Eckdaten über die gesellschaftlichen Veränderungen und den künftigen Entwicklungsbedarf fehlten aber bisher. Ein im zweijährigen Abstand erstellter Integrations- und Diversitätsmonitor soll künftig eine Analyse der sozialen und ökonomischen Wandlungsprozesse in der Stadt ermöglichen. Untersucht wird in acht Themenfeldern, die von Bildung und Wohnen über Beschäftigung bis Gesundheit das ganze Spektrum an Lebensqualität abdecken. Denn egal ob mangelhafte Ausbildung, niedriges Einkommen oder beengte Wohnverhältnisse – MigrantInnen haben in nahezu allen Lebensbereichen schlechtere Karten als alteingesessene BewohnerInnen.

Versäumnisse

Der im April 2010 präsentierte erste Bericht zeigt, wie stark strukturelle Diskriminierungen der Vergangenheit, wie etwa die Anwerbepolitik von »Gastarbeitern« in den 60er-Jahren oder die Zugangsbeschränkungen zum sozialen Wohnbau, bis heute nachwirken. Besonders problematisch offenbaren sich diese Versäumnisse in der starken Konzentration in bestimmten Wohnbezirken und der geringen Bildungs- und Erwerbsmobilität, auch bei bereits in Österreich geborenen Personen. Soziale Aufstiegsprozesse sind vergleichsweise selten.

Der Anteil der im Ausland geborenen WienerInnen im erwerbsfähigen Alter (15 bis 65 Jahre) beträgt 36 Prozent. Insgesamt 38 Prozent aller im Ausland geborenen BewohnerInnen der Bundeshauptstadt besitzen die österreichische Staatsbürgerschaft. Der Großteil stammt aus den klassischen Zuwanderungsländern wie Türkei oder Ex-Jugoslawien. Etwa 6,5 Prozent der in Wien lebenden Menschen sind StaatsbürgerInnen eines anderen EU-Mitgliedsstaates bzw. der Schweiz. Der rechtliche Status bestimmt wesentlich die Chancen zur Teilhabe am wirtschaftlichen, sozialen und politischen Leben. Auch der Zugang zu sozialen Leistungen verläuft entlang der Grenzen, die durch die Staatsangehörigkeit gegeben sind.

Strukturell benachteiligt

Im Bereich Bildung legt der Integrationsmonitor deutlich die unzureichende Durchlässigkeit des Schulsystems offen. Während 43 Prozent der SchülerInnen mit fremder Staatsangehörigkeit eine AHS besuchen, beträgt dieser Anteil bei österreichischen Kindern 71 Prozent. Allerdings ist in den letzten Jahren eine gewisse Dynamik zu beobachten: Zwischen 2001 und 2008 stieg der Anteil von SchülerInnen mit einer anderen Erstsprache als Deutsch an AHS um über zehn Prozent. Zugleich zeigt sich eine zunehmende Polarisierung: Zuwanderer haben häufiger einen Hochschulabschluss als alteingesessene WienerInnen, ein großer Teil hat aber keine abgeschlossene Schulausbildung oder nur einen Pflichtschulabschluss.

Dennoch findet ein Bildungsaufstieg statt: Im Generationenvergleich zeigt sich, dass aus der Türkei oder dem ehemaligen Jugoslawien zugewanderte WienerInnen zwar geringere Schulabschlüsse haben als der Wiener Durchschnitt, aber mehrheitlich höhere Ausbildungslevels erreichen als ihre Eltern.

Die Herkunft und die erworbenen Qualifikationen sind in der Folge für die Berufswahl und das Einkommen entscheidend. Noch immer sind ausländische ArbeitnehmerInnen konzentriert in wenigen Sektoren anzutreffen, die durch niedrig qualifizierte Beschäftigungen bzw. prekäre Arbeitsverhältnisse und niedriges Einkommen gekennzeichnet sind. Auch von Arbeitslosigkeit sind Personen mit Migrationshintergrund deutlich häufiger betroffen als autochthone ÖsterreicherInnen.

In Führungspositionen sind Zuwanderer stark unterrepräsentiert. 30 Prozent der erwerbstätigen alteingesessenen WienerInnen haben eine Leitungsfunktion inne, aber nur 14 Prozent der erwerbstätigen Personen mit Migrationshintergrund. Auffallend hoch ist dagegen die Zahl der zugewanderten Unternehmer: Rund 31 Prozent der selbständig Erwerbstätigen stammen nicht ursprünglich aus Österreich.

Gräben zuschütten und ''den Teufelskreis der Dequalifikation durchbrechen'' will Wiens Integrationsstadträtin Sandra Frauenberger.Ungenütztes Potenzial

Viel Potenzial bleibt ungenützt – auch durch restriktive bürokratische Richtlinien. Selbst ein Hochschulabschluss ist keine Garantie für ein gesichertes, adäquates Einkommen. 67 Prozent der arbeitslosen AkademikerInnen in Wien sind MigrantInnen. Dazu kommen viele Zuwanderer, die zwar erwerbstätig sind, aber unter ihrem Qualifikationsniveau beschäftigt werden. Die Nostrifikation ausländischer Studienabschlüsse dauert mitunter Jahre, für die Anerkennung der Ausbildung etwa von ÄrztInnen, LehrerInnen oder ArchitektInnen sind oft etliche zusätzliche Semester an heimischen Universitäten erforderlich.

60 Prozent der Menschen, die neu nach Wien zuwandern, sind sehr gut qualifiziert. »Fakt ist aber leider, dass die Nostrifizierung – es handelt sich um bundesgesetzliche Bestimmungen – derzeit einer 8000er-Besteigung ohne Sauerstoffgerät gleicht«, sagt Integrationsstadträtin Sandra Frauenberger. Besonders skurril ist diese Voraussetzung bei Kindergartenpädagoginnen, die aufgrund des verpflichtenden Kindergartenjahrs und der erweiterten Öffnungszeiten heiß begehrt sind. In den meisten europäischen Ländern erfolgt im Unterschied zu Österreich die Ausbildung im Rahmen eines Hochschulstudiums – dennoch muss trotz des höheren Niveaus für die Beschäftigung hier der Nachweis einer gleichwertigen Qualifikation erbracht werden.

Trotz aller Hürden und Anfeindungen zeigen sich laut Umfrage 79 Prozent der WienerInnen mit Migrationshintergrund mit ihrer aktuellen Lebenssituation sehr zufrieden oder zufrieden. Unter den autochthonen WienerInnen sind es 86,7 Prozent. Interessant ist in diesem Zusammenhang auch der Sicherheitsaspekt: Vier Prozent aller WienerInnen fühlen sich in ihrer Wohn­umgebung gar nicht sicher, unter den in der Türkei geborenen Zuwanderern sind es 9,7 Prozent.

Teufelskreis Dequalifikation

Stadträtin Frauenberger will in den kommenden Jahren diese Gräben zuschütten oder zumindest verkleinern. Frühförderung im Kindergarten, Ausbildungsbegleitung für Jugendliche und die Anerkennung ausländischer Bildungsabschlüsse sind nur einige der offenen Baustellen. »Wir dürfen nicht denselben Fehler machen wie damals bei den Gastarbeitern«, sagt Frauenberger. »Jeder kennt die Geschichte vom Taxi fahrenden Bauingenieur oder der Ernährungswissenschafterin, die als Reinigungskraft arbeitet. Uns ist es wichtig, diesen Teufelskreis der Dequalifikation zu durchbrechen.« Ein eigenes Kompetenzzentrum im Wiener ArbeitnehmerInnen Förderungsfonds (waff) bietet muttersprachige Berufsberatung und gezielte Weiterbildungsförderungen schon ab der Einwanderung. Die soziale Lage der MigrantInnen ist entscheidend abhängig von ihren Arbeitsmarktchancen, argumentiert Frauenberger: »Wenn wir das ungeheure Potenzial der zugewanderten WienerInnen einfach brach liegen lassen, schadet das enorm dem Wirtschaftsstandort. Wollen wir im internationalen Wettbewerb um die besten Köpfe und Hände bestehen, können wir uns das einfach nicht leisten.«

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