Samstag, April 05, 2025
Robotikgestützte Therapie
tech2people stellt Patient*innen Exoskelette zur Verfügung, und unterstützt so nicht nur deren Trainingserfolg, sondern wirkt auch der Versorgungslücke im Therapiebereich entgegen. (Fotocredit: tech2people/Achim Bieniek)

In der Wiener Seestadt wurde ein Hightech-Therapiezentrum eröffnet, das Menschen mit neurologischen Krankheiten innovative Behandlungsmethoden mit robotischen Geräten zugänglich macht. 

Text: Angela Heissenberger

Ins »HoHo«, nahe der U2-Station Seestadt, ist das neue Therapiezentrum von tech2people Anfang November gezogen. Hier will man in vielerlei Hinsicht neue Maßstäbe setzen. Mehr als 20 hochmoderne robotische Geräte im Wert von rund 1,5 Millionen Euro kommen künftig zum Einsatz. Im Fokus liegen neurologische Krankheitsbilder wie Schlaganfall, Multiple Sklerose und traumatische Querschnittlähmung, unabhängig von deren Schweregrad. 

Das Team aus neun spezialisierten Physio- und Ergotherapeut*innen kann jährlich bis zu 500 Patient*innen betreuen – mit ambulanten Therapien, ohne stationären Aufenthalt und zu erschwinglichen Kosten, wie Initiator Gregor Demblin verspricht: »Die Qualität der Therapie entscheidet bei Menschen mit Schlaganfällen, Querschnittslähmung, Multipler Sklerose oder Schädelhirn-Traumata darüber, ob sie eine Chance haben, zu gehen, berufstätig und selbstständig zu sein und im Endeffekt auch über die Lebenserwartung.« Demblin spricht aus eigener Erfahrung – er ist seit einem Badeunfall auf der Maturareise querschnittgelähmt. Durch das spezielle Training hat sich auch sein allgemeiner Gesundheitszustand deutlich verbessert: Er hat weniger Infekte und muss nicht mehr ständig Antibiotika einnehmen. Das regelmäßige Aufrichten entlastet die inneren Organe, was sich auf den gesamten Verdauungstrakt auswirkt.

Robotische Geräte bieten gegenüber manuellen Therapien zusätzliche Vorteile: Sie können vielfältigere Bewegungen in höherer Wiederholungsrate simulieren. Zudem messen die Maschinen genau, wie viel Kraft ein*e Patient*in noch hat und unterstützt ihn bzw. sie genau so weit, um ein Training mit maximaler Anstrengung und Effizienz zu ermöglichen. Fortschritte in der Behandlung werden detailliert aufgezeichnet und dokumentiert. 

Wieder gehen können

Mithilfe eines Exoskeletts oder im Lokomat können sogar Querschnittgelähmte wieder aufstehen und physiologische Schrittmuster trainieren. Integrierte Geschicklichkeitsspiele und der Einsatz von Virtual Reality bewirken, dass das anstrengende Training auch Spaß macht und die Patient*innen intensiv an ihrer Genesung mitwirken. Ein Exoskelett ist eine Art bionischer »Anzug«, dessen Motoren die Beine bewegen und Muskelfunktionen ersetzen.

Schlaganfallpatient*innen haben mit robotikassistierter Gangtherapie, ergänzt durch klassische Physiotherapie, eine doppelt so hohe Chance, wieder gehen zu lernen. Bis zu zwei Jahre nach dem Ereignis können noch Fortschritte erzielt werden, bestätigt Peter Lackner, Neurologe am Klinikum Floridsdorf und medizinischer Berater des Therapiezentrums: »Durch die hohe Wiederholungsrate wird zum Beispiel die Neuroplastizität optimal gefördert, das heißt, die Bildung neuer Nervenbahnen wird angeregt. Weitere positive Effekte sind die Reduktion von Spastik bei Querschnittslähmung, einem reduzierten Medikamentenbedarf oder der Verringerung von Folgeerkrankungen wie Osteoporose.«

Bei konventioneller Physiotherapie schaffen Patient*innen in einer Einheit etwa 50 bis 250 Schritte. Dabei müssen sie von mindestens zwei Therapeut*innen unterstützt werden bzw. in einer Aufhängung trainieren. Im Lokomat können sie in einer Trainingseinheit bis zu 2.000 Schritte absolvieren. Der Fokus liegt somit auf dem eigentlichen Gehtraining bei gleichzeitiger Normalbelastung von Armen und Beinen. 

Versorgungslücke schließen

»In der stationären Akut-Reha sind wir in Österreich sehr gut aufgestellt, aber der Bedarf an ambulanter Rehabilitation steigt massiv«, sagt Lackner. Die Behandlung erstrecke sich meist nur über ein bis zwei Monate. Um verlorene Funktionen, etwa nach einem Schlaganfall wieder zu erlernen, sei jedoch ein Zeitraum von einem halben Jahr bis zu zwei Jahren realistisch. Das neue ambulante Therapieangebot könne nun diese Versorgungslücke schließen. In Österreich sind rund 50.000 Menschen auf einen Rollstuhl angewiesen, ca. 4.000 davon aufgrund einer Querschnittlähmung. Pro Jahr sind rund 26.000 neue Schlaganfallpatient*innen zu erwarten. Von Multipler Sklerose sind in Österreich ca. 14.000 Personen lebenslang betroffen.

Um die Therapien möglichst vielen Menschen zugänglich zu machen, ist derzeit noch die Unterstützung von Sponsor*innen und Prominenten nötig. Dank des Hauptsponsors UNIQA Österreich kostet eine Therapieeinheit an den Hightech-Geräten nur 99 bis 135 Euro, weitere 55 Euro davon werden von der Krankenkasse ersetzt. »Wenn ich dieselbe Therapie in den USA machen will, kostet es dort das Dreifache«, erklärt tech2people-Gründer Demblin.

Vor dem Hippotherapie-Roboter im neuen Therapiezentrum (v. li.): Neurologe Peter Lackner, Peter Eichler (UNIQA), Initiator Gregor Demblin, Hannes Kinigadner (Wings for Life), Rupert Kluhs-Preißler (tech2people). (Foto: kikosotto)


»Vieles, was vor 15 Jahren technisch undenkbar war, ist heute Behandlungsstandard. Entsprechende Entwicklungen möchten wir unterstützen, denn sie ermöglichen vielen Menschen die Teilhabe an der Gesellschaft und damit letztlich ein besseres Leben«, betont Peter Eichler, Vorstand für Personenversicherung bei der UNIQA Insurance Group AG. Auch Hannes Kinigadner, der seit einem Unfall auf den Rollstuhl angewiesen ist, trainiert regelmäßig mit dem Exo­skelett: »Wenn dir so ein Unfall passiert, brauchst du jede Unterstützung, die du kriegen kannst – persönlich und technisch. Es ist wichtig, dass wir als Gesellschaft neu gewonnenes technologisches Know-how dafür einsetzen, dass Betroffene wieder in eine höhere Selbstwirksamkeit kommen.« Sein Vater, der Motocross-Weltmeister Heinz Kinigadner, initiierte 2004 gemeinsam mit Red-Bull-Gründer Dietrich Mateschitz die gemeinnützige Stiftung für Rückenmarkforschung »Wings for Life«.

Gregor Demblin konnte 2017 zum ersten Mal ein Exoskelett ausprobieren – »ein sehr prägendes Erlebnis«, wie er erzählt: »Mir wurde schnell klar, dass ich es auch anderen Menschen ermöglichen sollte, diese wunderbare Erfahrung zu machen. Unser Ziel ist es, hier in der Ausbauphase 500 Patient*innen pro Jahr zu behandeln. Das sind 500 Schicksale, die im Idealfall ein besseres Leben haben werden.« Ein zweites Ziel behält Demblin ebenfalls im Auge, nämlich die Technologie voranzutreiben: »Wir sind wahrscheinlich weltweit die einzige Einrichtung, die Herstellern die Möglichkeit bietet, ihre Geräte als Prototypen zu testen. Meine Hoffnung ist, dass wir irgendwann einmal Exoskelette anstelle von Rollstühlen sehen werden, und das Bild von begrenzten Therapiemöglichkeiten verschwindet.«

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