Sonntag, April 20, 2025
Mit oder ohne Auto
Damit ein ganzheitliches Konzept reibungslos funktioniert, müssen die Daten kompatibel sein und die Systeme aus Verkehr, Luftqualität und Infrastruktur ineinandergreifen.

2030 werden 60 Prozent der Weltbevölkerung in Metropolen leben. Wie das bereits jetzt beträchtliche Verkehrsaufkommen bewältigt werden kann, ist angesichts der Klimakrise eine der dringlichsten Herausforderungen.


Die Transformation der Mobilität ist Gegenstand zahlreicher Modellprojekte in kleineren Kommunen und einzelnen Stadtteilen. Die Optionen reichen von autofreien Zonen und selbstfahrenden Bussen über automatisierte Parkraumbewirtschaftung bis zu Verleihsystemen mit Car-Sharing, Fahrrad und E-Scootern.

Voraussetzung ist ein tragfähiges digitales Verkehrsmanagement. Entsprechende Lösungen gibt es bereits seit längerem, die Bereitschaft zur Kooperation hält sich bei einzelnen Playern aber in Grenzen. Die Corona-Pandemie beschleunigte die Digitalisierung in vielen Bereichen – aufgrund des veränderten Mobilitätsverhaltens der Bevölkerung nahm die digitale Vernetzung zuletzt doch Fahrt auf.

Die Stadt der kurzen Wege – ein wiederentdecktes Prinzip der Stadtentwicklung – könnte die Verkehrs- und Schadstoffbelastung zusätzlich eindämmen. Nahversorger, Gastronomie, Kindergärten und Schulen, Arztpraxen und Apotheke, Sportanlagen, Kultureinrichtungen und Grünflächen liegen in unmittelbarer Umgebung oder sind mit Rad oder öffentlichen Verkehrsmitteln rasch erreichbar. Die Seestadt Aspern in Wien oder die Smart City Graz sind international beachtete Beispiele für hohe Lebensqualität im urbanen Raum, in dem der Besitz eines eigenen Autos überflüssig wird. In dem derzeit in Bau befindlichen Wohngebiet auf den ehemaligen Reininghaus-Gründen sollen Autos gänzlich von den Straßen verschwinden, wie der Grazer Stadtbaudirektor Bertram Werle hofft: »Ziel ist es, dass in diesen Stadtteilen die Autos in unterirdischen Sammelgaragen abgestellt werden. Die Menschen können sich auf der Oberfläche frei bewegen, statt Parkplätzen gibt es grüne Parkanlagen.«

Intelligente Mobilitätslösungen umfassen aber noch weit mehr. Konventionelle öffentliche Verkehrsmittel, Leih- und Sharingsysteme, Elektrofahrzeuge samt flächendeckender Lademöglichkeiten sowie niederschwellige Buchungs- und Routingsysteme ergeben einen Mix, auf den die Bewohner*innen je nach Situation unkompliziert zugreifen können. Das eigene Auto verliert durch das vielfältige Angebot an Attraktivität, in puncto individuelle Mobilität müssen dennoch keine Abstriche gemacht werden.

Daten verknüpfen
Was in neu geplanten Vierteln am Reißbrett entsteht, ist in gewachsenen Stadtteilen nur mit Abstrichen umsetzbar. Mithilfe intelligenter Technologien könnte die Belastung zumindest gemindert werden. Einzelmaßnahmen, wie etwa die Datenerhebung über das Verkehrsaufkommen in der Innenstadt, ändern jedoch wenig. Es braucht eine Gesamtstrategie, sind sich Expert*innen einig. »Wirklich ›smart‹ ist es erst, wenn diese Verkehrsdaten gleichzeitig mit denen aus der CO2-Auswertung sowie Daten über die Parkplatznutzung und Frequenz des Nahverkehrs verknüpft werden«, erklärt Stefan Schwarz, Partner Business Consulting bei Teradata. »Nicht das bloße Sammeln der Daten ist dabei der Knackpunkt, sondern ihre Verbindung und konsolidierte Auswertung mittels Data Analytics.«  Damit ein solches ganzheitliches Konzept reibungslos funktioniert, müssen die Daten kompatibel sein und die Systeme aus Verkehr, Luftqualität und Infrastruktur ineinandergreifen – und darüber hinaus. »Der Datenfluss sollte keineswegs am Stadtrand aufhören. Die Mobilität von heute verlangt, dass Kommunen auch über ihre Stadtgrenzen hinausdenken«, meint Schwarz.

Gerade große Ballungsräume ufern an den Rändern häufig ins Umland aus. Angebote des öffentlichen Verkehrs werden nur dann angenommen, wenn die Fahrpläne mit den umliegenden Städten und Gemeinden gut abgestimmt sind und auch andere Mobilitätsangebote einbeziehen.

An der RWTH Aachen erarbeitet das »Center Metropolitan Cities« seit 2018 ein Zukunftskonzept für die Metropolregion Rhein-Ruhr, das sämtliche Akteure – Software- und Logistikindustrie, Fahrzeughersteller, Produktionsbetriebe, Stadtverwaltung, Versorgungsunternehmen, Netzbetreiber und Bürger*innen – einbezieht. Angesichts der extrem hohen Verkehrsbelastung in dem dicht besiedelten Gebiet ist das Thema »Multimodale Mobilität« vordringlich. On-Demand-Angebote mit Elektro-Kleinbussen, kostenlose Ladestationen, optimierte Logistiklösungen für die »letzte Meile« sowie die Weiterentwicklung emissionsfreier Transportmittel sind einige der Pläne, die aus der fünftgrößten Metropolregion Europas ein nachhaltig vernetztes Vorzeigemodell machen sollen.

Smart tanken
Ein Drittel des Verkehrsaufkommens entfällt allein auf die Parkplatzsuche. Mit Hilfe intelligenter Systeme können Fahrzeuge im Vorbeifahren eine freie Parkfläche erkennen und diese Daten anonymisiert in die Cloud einspeisen. Autofahrerer*innen, die auf der Suche nach einem freien Parkplatz sind, werden auf Basis dieser Daten ohne Umweg und Zeitverlust – sowie ohne unnötigen CO2-Ausstoß – zur nächsten freien Lücke geführt.

Lösungen wie diese sind notwendig, denn ganz werden Autos nicht aus der Stadt verschwinden. Zumindest die Antriebe werden aber umweltfreundlicher: Mit dem Anteil der Elektrofahrzeuge steigt auch der Bedarf an Ladestationen – möglichst mit »grünem« Strom aus erneuerbaren Energien. Seit September 2020 wird in der Seestadt  Aspern zum Thema »Smart Charging« geforscht. Die Aspern Smart City Research (ASCR) untersucht dabei im multifunktionalen Hochgarage SeeHub Lademöglichkeiten, um Produktionsspitzen erneuerbarer Energie flexibel abzuschöpfen. E-Fahrzeughalter*innen können mittels eigener App gratis »tanken«. »Wir unterstützen die Entwicklung einer intelligenten Ladeinfrastruktur, die kein geschlossenes System darstellt, sondern mit dem Fahrzeug, mit lokalen Energieproduktionsstätten, dem Netz und schließlich den Energiemärkten interagiert«, erklärt ASCR-Geschäftsführer Robert Grüneis. »Dabei suchen wir nach Ladestrategien, die umweltfreundlich, kundenorientiert und gleichzeitig netzdienlich sind.«

Auf dem Dach der Parkgarage befindet sich eine Photovoltaikanlage, die in Verbindung mit einem Batteriespeicher und einem dynamischen Netzanschluss das von Siemens entwickelte Lademanagement »E-Car Operation Center« versorgt. Im Zusammenspiel mit dem lokalen Microgrid Controller ermittelt das Ladesystem künftig für die zur Verfügung stehende Parkdauer die optimale Ladestrategie. Dabei werden nicht nur Fahrzeugtype, aktueller Ladestatus und Netzparameter berücksichtigt, sondern auch Wetterprognosen für die Energieproduktion der PV-Anlage einbezogen. Auch vier Ladestationen von Wien Energie sind Teil des Projekts. »Der Mobilitätsknotenpunkt Garage ist für die Elektromobilität ein ganz wesentliches Forschungsumfeld, hier findet in Großstädten die Mehrheit der Ladevorgänge statt. Deshalb wollen wir uns das Nutzungsverhalten in der Seestadt genauer ansehen«, sagt Michael Strebl, Geschäftsführer der Wien Energie. »Wir wollen den vorhandenen Ökostrom so intelligent wie möglich nutzen, verteilen und Netzüberlastungen verhindern. Und: dem Kunden ein startbereites Auto bieten, genau dann, wenn er es braucht.«

Sicherheit erhöhen
Noch im Teststadium stecken selbstfahrende Autos, Busse und Züge. Hinter den Kulissen wird jedoch eifrig erprobt und entwickelt. Assistierte und automatisierte Fahrsysteme sind ein riesiger Wachstumsmarkt. Im Continental-Konzern bildet »Autonomous Mobility« ab 2022 ein eigenständiges Geschäftsfeld, in das pro Jahr um 200 bis 250 Millionen Euro erhöhte Investitionen fließen sollen, wie Vorstandsvorsitzender Nikolai Setzer auf der diesjährigen Hauptversammlung ankündigte: »Wir streben die globale Führung beim Thema Technologie für automatisiertes Fahren an.« Continental beschäftigt dafür bereits 20.000 Software-Expert*innen und arbeitet mit Amazon daran, die Kommunikation aus dem Fahrzeug und in das Fahrzeug zu beschleunigen. Mit einem neuen Superrechner, der in Frankfurt am Main steht, nutzt das Unternehmen zusätzlich künstliche Intelligenz, um Assistenzsysteme fit für die Praxis zu machen.

Das schließt auch schwächere Verkehrsteilnehmer ein: Gemeinsam mit der Deutschen Telekom entwickelte Continental ein System, das in Echtzeit vor Unfällen mit Radfahrer*innen oder Fußgängern warnt. Die Kollisionswarnung basiert auf GPS-Ortung, Beschleunigungssensoren, Mobilfunk und Cloud Computing. Oliver Bahns, verantwortlich für Connected Mobility bei T-Systems, spricht von einem »digitalen Schutzengel«: »Der Schlüssel dafür ist der hohe Grad an Vernetzung: Etwa 85 Prozent der Bevölkerung in Europa nutzen ein Smartphone und auch immer mehr Autos sind verbunden. Mit unseren Rechnern im Mobilfunknetz sorgen wir für extrem kurze Reaktionszeiten.«

In Österreich arbeitet die Kapsch TrafficCom gemeinsam mit der Kunstuniversität Linz und dem Software Competence Center Hagenberg (SCCH) an einer KI-basierten Verkehrsüberwachung, die kritische Gefahrensituationen selbstständig erkennt und frühzeitig vor Gefahren warnt sowie für einen optimalen Verkehrsfluss sorgt. Dafür braucht es zusätzliches Wissen von Verkehrsmanager*innen, die komplexe Situationen bewerten und klare Regeln definieren können – da diese oft keine IT-Kenntnisse haben, sollte die Bedienung möglichst intuitiv erfolgen.

Marianne Pührerfellner, Expertin für User Experience und User Interface Design an der Kunstuniversität Linz, entwickelte mit ihrem Team eine nutzerfreundliche, interaktive Systemverwaltungsoberfläche: »Visuelle Codierungen wie Icons, Farben und Formen ermöglichen es, innerhalb kürzester Zeit komplexe Sachverhalte zu erkennen. Entscheidungen und Handlungen werden nachvollziehbar und verständlich gestaltet.« Aus der Zusammenarbeit entstand eine detaillierte Roadmap für weitere Entwicklungen, wie Balazs Barnucz, Vice President Video Platform bei Kapsch TrafficCom betont: »Wir sehen, dass unsere KI-basierten Video-Analytics-Systeme ständig mehr und immer komplexer werdende Funktionen und Szenarien abdecken können. Deshalb ist es für uns sehr wichtig, die Konfigurierung solcher Systeme intuitiv, schnell und verstärkt automatisiert zu gestalten.«


Parken im Hotel



Bild: Dominik Wegmayer, Payuca: »Zeitgemäßes Parkraum-Management.«

Das ibis Hotel in Wien-Mariahilf öffnet seine Garagentore seit kurzem völlig automatisiert und kontaktlos. Damit wird Hotelgästen und Parkplatzsuchenden eine unkomplizierte Zufahrt garantiert. Möglich wird dies durch die automatisierte Parkraumlösung des Wiener Proptech-Unternehmens Payuca. Durch Kennzeichenerkennung, NFC-Chip oder via Smartphone wird der Zugang zur Garage in Sekundenschnelle gewährleistet und damit der Verwaltungsaufwand auf ein Minimum reduziert. Darüber hinaus kann die Kapazität der oftmals leerstehenden Hotelgaragen optimal ausgeschöpft werden, da auch für andere Autofahrer*innen, die in der Nähe des Hotels parken wollen, die Hotelgarage nutzbar gemacht werden kann.

Seit seiner Gründung 2015 bereichert Payuca den städtischen Parkraum in Wien durch effiziente und nachhaltige Leerstandsverwertung. Durch die Erweiterung des Geschäftsfeldes mit Smart-Acces-Lösungen für die Immobilienwirtschaft wurde zugleich ein Mehrwert für die Hotellerie geschaffen. Dauerparker wie auch Kurzparker können über ein einfaches Dashboard alle Leerstände an den mehr als 60 Standorten einsehen und buchen. »Viele Garagen und Stellplätze werden analog oder manuell bewirtschaftet, wodurch neben Leerstand ein zeit- und kostenintensiver Verwaltungsaufwand entsteht. Wir bieten mit unseren Parking Solutions zeitgemäße Lösungen für Parkraum-Management, die zudem kostengünstiger sind als viele bestehende Systeme. Durch unsere Technologie wird das Handling von Parkplätzen unkomplizierter denn je. Gleichzeitig geben wir Leerständen wieder einen Wert für ihre Eigentümer«, betont Dominik Wegmayer, Co-Founder und CEO von PAYUCA Parking Solutions. »Mit der Verlagerung der Autos in bestehende Stellplätze und Garagen schlagen wir eine Brücke zum modernen Mobilitätskonzept der Smart City.«

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