Dienstag, April 29, 2025
Hintergründe einer Tragödie

Grenfell Tower: Das Thema Brandschutz ist im mehrgeschoßigen Wohnbau ein Dauerbrenner. Nicht zuletzt der verheerende Brand des Grenfell Tower in London hat das Thema auch abseits der Fachöffentlichkeit in das Bewusstsein gerückt. Die zentrale Frage: Was kann man aus dem Grenfell-Feuer lernen?

Es war der 14. Juni 2017, kurz nach Mitternacht. Ein Appartementbewohner im vierten Stock des Londoner Grenfell Towers entdeckt, dass der Kühlschrank in seiner Küche brennt und alarmiert die benachbarten Hausbewohner. Dabei macht er einen folgenschweren Fehler: Er lässt die Türe des brennenden Appartements offen, was zur Verqualmung des Treppenhauses in dem 68 Meter hohen Gebäude führt. Dieses Treppenhaus ist sowohl einziger Flucht- als auch Einsatzweg für die Rettungskräfte. Als die Feuerwehr um ca. 1 Uhr am Brandort eintrifft, gibt es bereits zwei breite Feuerstreifen, die sich an der Fassade nach oben fressen. Um 1.15 Uhr erreicht das Feuer die 17. Etage und nur eine Viertelstunde später erfasst die Feuerfront bereits alle Fassadenteile oberhalb des vierten Stockwerks. Dabei ist es zu einem weitgehend unbekannten Ausbreitungsphänomen gekommen: Der Brand konnte sich nicht nur senkrecht, sondern auch »um die Ecke« ausbreiten. Dadurch standen alle vier Hausfassaden innerhalb einer halben Stunde im Vollbrand.

Ein weiterer Mosaikstein der Katastrophe war, dass der Feueralarm nicht angeschlagen hat. Da die Bewohner nicht zeitgerecht gewarnt wurden, konnten viele aufgrund der raschen Verqualmung des Treppenhauses nicht mehr flüchten. Sie vertrauten auf die von der Hausverwaltung ausgegebene »Stay-put-Regel« und verblieben in ihren Wohnungen. Eine grundsätzlich richtige Vorgangsweise, die auch in Deutschland und Österreich als Stand der Technik anerkannt wird. Bei den vom Feuer eingeschlossenen Personen brach aber nun Angst und Panik aus. Um in der Nacht auf sich aufmerksam zu machen, schwenkten sie mit Tüchern und Taschenlampen. Andere versuchten sich mit Leintüchern abzuseilen, einige sprangen in ihrer Verzweiflung in die Tiefe.

Der Vollbrand der Fassade konnte in der Folge nur im Bereich der unteren Stockwerke von außen gelöscht werden, da die höheren Flammriegel vom Boden und über Drehleitern nicht erreicht werden konnten. Der parallel dazu geführte Innenangriff der Feuerwehr erwies sich als sehr zeitaufwendig und wenig effizient. Die Lösch- und Rettungskräfte konnten sich erst nach etwa neun Stunden bis ins oberste Stockwerk durchkämpfen. Seit 19. Juni 2017 ging die Londoner Polizei von 79 Todesopfern aus, eine Zahl, die im Oktober 2017 auf 71 reduziert werden konnte, nachdem sich einige vermisste Personen als lebend gemeldet hatten.

What happened?

Sowohl Experten als auch besorgte Bürger stellten sich gleichermaßen die Frage, wie ein Vollbrand aller Fassadenteile in so kurzer Zeit möglich sein konnte, wie das Feuer »um die Ecke brennen« konnte. (Die Expertenmeinungen, ob eine ähnliche Katastrophe auch bei österreichischen Hochhäusern passieren konnte, finden Sie auf den folgenden Seiten).

In London hat man 150 mm dicke Dämmplatten aus Polyisocyanuraten (PIR) auf der Betonfassade angebracht. In jedem Stockwerk wurden horizontale und gebäudeumlaufende Brandriegel in die Isolation und um jede Fenstereinheit eingebaut. Diese Konstruktion wurde mit einer vorgehängten, hinterlüfteten Fassade aus Aluminium-Verbundplatten verkleidet.

Polyisocyanurat ist eine Weiterentwicklung von Polyurethan-Schaumstoffen. Bei etwa 400°C beginnt es nicht abschmelzend zu verkohlen, wie auf vielen Fotos vom Grenfell Tower nach dem Brand deutlich zu sehen ist. Allerdings kann PIR bei hohen Umgebungstemperaturen auch brennen, wie sie beim Brand hinter vorgehängten Fassaden vorkommen.

In den Aluminiumplatten des Grenfell Tower waren Polyethylen-Schichten eingebaut. Polyethylen erweicht ab etwa 80°C und schmilzt ab ca. 130°C. Die dabei entstehende Schmelze ist brennbar und kann gefährliche Brandbrücken bilden. Aluminium kann jedoch bei 660°C ebenfalls schmelzen, eine Temperatur, die bei den meisten Bränden leicht erreicht wird.

Auf den Fotos und Videos des Grenfell-Brandes ist deutlich erkennbar, wie die brennende Schmelze die Fassade hinabläuft bzw. hinabtropft und dabei in Öffnungen geborstener Fenster hineinfließt, was zu einer raschen Ausbreitung des Brandes auch innerhalb des Gebäudes geführt hat. So kam es, dass sich der Brand einerseits unter der abgehängten Fassade und andererseits über das Innere der Eckwohnungen »um die Ecke« fortgepflanzt und auf alle Fassaden übergegriffen hat.

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